Zeugen der Andacht


Neben dem Kreuz gibt es kein Zeichen, das in der Bildersprache des Christentums öfter verwendet wird als das Herz. Es steht für Liebe in allen Dimensionen. Es ist das ausdrucksstarke Symbol des Gottessohnes, der sich hingab für die Vielen, und es ist das allgemeinverständliche Logo für gelingende, oder zumindest ersehnte menschliche Gemeinschaft. Es glänzt auf Altären wie auf den Dekolletés der Damen. Diesem Zeichen ist das Bändchen „Himmlische Herzen“) gewidmet.

    Manchmal steht es allein, manchmal hat es Flügel, manchmal flammen Feuerzungen aus der Furche. Einem Feuerofen gleich platzt es bisweilen vor innerer Hitze. Hier klafft an der Seite eine Wunde, dort ist es durchbohrt, Blut tropft von der es umgebenden Dornenkrone herab. Es steht für eine der paulinischen Grundtugenden und flankiert, von Putten oder Engeln emporgehalten, zusammen mit dem Anker der Hoffnung und einem Bildzeichen des Glaubens (Kelch oder Kreuz) viele Kanzeln oder Kirchenemporen. Monstranzen haben Herzform, Weihwasserbecken und anderes Kirchengerät zeigen es, um die Botschaft zu unterstreichen, um derentwillen sie da sind. Manche Heilige führen das Herz als Erkennungsmal. An Bedeutung und Zahl der Darstellungen steht der heilige Augustinus an ihrer Spitze. Der Kirchenvater hat das Wort geprägt: „Unruhig ist unser Herz, bis es ruhet in Dir“, und so hält es seine Figur, durch die Kopfbedeckung als Bischof erkennbar, dem heiligen Zentrum (Tabernakel, Dreifaltigkeitssymbol) entgegen. Als weibliche Herzfigur ist an erster Stelle Theresa von Avila zu nennen, auch sie ist als Kirchenlehrerin auf vielen Altären anwesend. Es wird berichtet, daß ein Seraph ihr Herz mit einem Pfeil durchbohrt habe. Eine stattliche weitere Reihe von Heiligen haben dasselbe Attribut, so z.B. der heilige Franz Xaver wegen seines glühenden Missionseifers, der heilige Franz von Sales und viele andere.

    In Wallfahrtskirchen, Kapellen oder an Stätten des Gebetes bringen die Gläubigen Herzen an zum Zeichen des Dankes für empfangene Hilfe und der innigen Verbundenheit. Manche Wände scheinen wie von einer Tapete aus Votivherzen silbern überzogen zu sein.

Viele Kirchen beherbergen einen Altar des Herzens Jesu, viele Städte eine nach diesem genannte Pfarre oder Kirche. Apotheken führen es als Firmenbezeichnung. Der Herrgottswinkel in vielen Stuben des süddeutschen Sprachraums wird von einem Herz-Jesu- oder Herz-Marien-Bild oder von beiden gebildet. Der biblische Ansatz der Verehrung des heiligen Herzens liegt in der geöffneten Seite des Gekreuzigten: „Einer der Soldaten stach ihm (dem Gekreuzigten) mit seinem Speer in die Seite. Da kam Blut und Wasser heraus“ (Jo 19,34). In der deutschen Mystik des 13. Jahrhunderts (Mechthild von Magdeburg, Heinrich Seuse) erreichte die Herzensfrömmigkeit ihren ersten Höhepunkt, durch Margareta Maria Alacoque, einer französischen Nonne (17. Jh.) und deren Vision ihren bildhaften Ausdruck. Im 19. Jahrhundert wurde sie von den Päpsten approbiert und den Gläubigen weltweit empfohlen.

    Der Erlöser, meist in der Tradition der Nazarener Malschule mit langem Haupthaar ausgeführt, zeigt sein Herz dem Betrachter. Er streift das Obergewand beiseite, um es sichtbar zu machen. Die Hände unterstreichen die Botschaft: Einmal zeigen sie auf das Herz, dann wieder reichen sie es dem Betrachter dar. Jesu Herz ist der Ort, in dem der Mensch Ruhe finden kann. Umgekehrt kann dieser auch in das Herz des Menschen einkehren. Im Barock kommt Jesus in das Herz, das als Garten aufgefasst wird, um es vom Unkraut der Sünde zu befreien. Buße und Eucharistie sind die Sakramente, kraft derer die Herzensvereinigung sich ereignen kann. Das aus der Wunde tropfende Blut reinigt den bekennenden Sünder, die konsekrierte Hostie macht sein Herz dem Jesu gleichförmig.

Seite an Seite mit dem Herzen Jesu steht oft das der Gottesmutter Maria.

    Ersteres ist von einer Dornenkrone umgeben, jenes hingegen von einem Kranz von meist weißen Rosen. Mitunter durchbohrt ein Schwert Mariens Herz: eine Erinnerung an die Prophetie Simeons bei der Darbringung des Kindes im Tempel (Lk 2,35). Sieben Schwerter rufen die sieben schmerzlichen Erfahrungen Mariens bei der Begleitung des Lebens ihres Sohnes in Erinnerung. Bisweilen weist eine Lilie bei ihr auf die Jungfräulichkeit hin.

Seltenere Darstellungen fügen den Herzen Jesu und Mariens das des Nährvaters Joseph hinzu.

    Was mystisch begnadete Menschen in der Begegnung mit dem göttlichen Du erlebt haben, will das Herz, das wechselseitig dargeboten wird, sichtbar machen. Jesus und Maria bieten ihr Innerstes als Ort des Heils und der Heilsgewissheit an. Durch die Seitenwunde wird der vertrauensvoll Betende gleichsam in Jesu Sphäre hineingezogen und mit ihm eins. Das Herz des göttlichen Sohnes oder seiner ist dem Beter Zuflucht vor dem Angriff des Bösen. Als Amulett wird ihm abwehrende Funktion zugeschrieben. Umgekehrt lädt der nach Heiligkeit strebende Gläubige Jesus ein, das Herz von bösen Gedanken und Lastern zu reinigen.

Auch im Protestantismus hat das Herz  seinen Niederschlag gefunden. Als Wohnung Gottes im Menschen wird es dargestellt. Von Paul Gerhard, einem lutherischen Geistlichen, stammen ergreifende Lieder, die das Herz des Erlösers zum Thema haben, ohne daß freilich figurale Darstellungen wie in der katholischen Tradition entstanden wären.

    In Tirol werden Mitte Juni Feuer im ganzen Land zur Erinnerung der Weihe an das heilige Herz Jesu im Freiheitskampf gegen Napoleon entzündet. Das Lied „Darum schwören wir aufs Neue, Jesu Herz, dir ew´ge Treue..“ war 1938 der erste öffentliche Protest österreichischer Katholiken gegen den Nationalsozialismus.

Obwohl diese Frömmigkeitsform im katholischen Raum gegenwärtig zurückgetreten ist, waren die Päpste der jüngsten Vergangenheit ihr sehr zugetan.

Als global verständliches Zeichen der Liebe mag das Herz an Häufigkeit dem Kreuz den Rang ablaufen. Geschwisterliche Symbole sind sie aus gleicher, verborgener Quelle. Daß Liebe und Leid miteinander verbunden sind, weiß jeder, der Liebe erfahren hat.